Kuratorin

Herzflattern – Junge Kunst der 1990er Jahre in Berlin

Pressehinweis: Berliner Morgenpost vom 05. Juni 2013 14.800 Kunstwerke suchen in Berlin eine neue Heimat

Wagen Sie mit mir einen Rückblick in die 90er Jahre: 1993 wurde die Zahl der hauptberuflich bildenden Künstler in Berlin auf 4.000 geschätzt. Der damalige Leiter des Referats Soziale Künstlerförderung, Winfried Langschied, wertete diese Lage der Künstler als kritisch, denn die wenigsten von ihnen konnten von den Einkünften aus ihrer künstlerischen Arbeit leben. Die besondere Situation der Stadt Berlin spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle: Da war zum einen der unterentwickelte Kunstmarkt mit fehlenden Käuferschichten und zum anderen die knapper werdenden Atelierräume und steigenden Mieten, die viele Künstler nicht mehr bezahlen konnten. Gleichzeitig wurden bei der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten die Mittel für die bezirklichen Kultur- und Kunstämtern gekürzt. Vergleicht man die Kunst der Artothek aus den 1990er Jahren mit der Kunst aus den vorangegangenen Förderperioden, dann fällt auf, dass immer häufiger auch die Künstler die Soziale Künstlerförderung in Anspruch nahmen, die bereits einen Namen in der Kunstszene hatten.

Für die Kunst in Berlin brachten die Jahre des Umbruchs zwischen 1989 und 1999 einschneidende Veränderungen. Eine neue Künstlergeneration aus Ost- und West-Berlin trat in den Vordergrund und die Stadt wurde mehr und mehr ein Anziehungspunkt für Künstler aus dem In- und Ausland. Künstler und Kunstprojekte besetzten freigewordene Räume wie Brachgelände, Ruinen und nicht renovierte Gebäude viel schneller als institutionelle und kommerzielle Strukturen arbeiten und sich festigen konnten. Die künstlerischen Positionen, die in dieser Zeit in Berlin entstanden, haben letztlich den Boden dafür bereitet, dass das Bild der Kunst in Berlin äußerst vielfältig wurde. Paradoxerweise war es dann am Ende der Kunstmarkt in Gestalt der neue Galerieszene, der sich in den sanierten Wohn- und Werkstattgebäuden etablierte und die Vielfalt der temporären Ereignisse einschränkte.

Letztlich war die gestiegene Qualität der Sammlung in den 1990er Jahren ein Indikator dafür, dass auch gestandene Künstler immer weniger von ihrer Arbeit leben konnten.

Bildermachen bevorzugt

Der Ausstellungstitel „Herzflattern“ bezieht sich auf die besondere Stimmung des Aufbruchs, der von politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen bestimmt war und zielt auf die künstlerischen Positionen dieser Zeit: Bis in die späten 1980er Jahre herrschte in Berlin das Bild einer von der Malerei dominierten Kunst vor. In den 1990er Jahren waren dann Prozesskunst, Installation oder performative Tendenzen längst in Ost und West angekommen, und nur langsam fanden diese Entwicklungen auch bei der Sozialen Künstlerförderung die nötige Aufmerksamkeit.  Aber die Installationen, die zunehmend gefördert wurden, haben selten wieder den Weg aus den Depots heraus zu Leihnehmern gefunden. Die Verwertung der Kunst in Amtsstuben und Behördenfluren lässt im Regelfall nur die althergebrachte Präsentation von Malerei, Skulpturen, Grafik und Fotografie zu. Auch in der Galerie des Abgeordnetenhauses von Berlin sind für Kunst in der Regel nur die Wände verfügbar.

Der Begriff „Junge Kunst“ im Untertitel der Ausstellung bezieht sich auf die „Extraschläge“ und das ständige „Flattern“ jener Zeit, das nicht nur das ästhetische Selbstverständnis der Künstler in Ost und West beeinflusste, sondern ebenso zu einer Umorientierung und Neubestimmung der künstlerischen Arbeit führte. Die Auswahl der Bilder verweigert sich bewusst einer Vorführung von Kunst zweier deutscher Staaten. Stattdessen können  in der Ausstellung parallele Entwicklungen und besondere Aspekte von Malerei in Berlin zwischen 1989 und 2000 aufgespürt werden. Schwerpunkt dieser Ausstellung ist das Spannungsverhältnis von Farbe und Struktur.

Expressiv-figürliche Malerei oder neo-realistische Kunst sind nicht das Thema dieser Ausstellung. Sie sind auch in der Artothek der Sozialen Künstlerförderung eher selten anzutreffen. Ausnahmeerscheinungen sind u.a. die kritische Realistin Maina-Miriam Munsky, die 1999 im Alter von 56 Jahren in Berlin starb und die sich in einer überrealistischen Maltechnik mit der geschäftig-sterilen Kälte von Operationssälen auseinandersetzte, oder Heike Ruschmeyer, über deren überlebensgroße Kinderbildnissen eine gespenstische Stimmung liegt. Völlig anders dagegen sind die expressiven Provokationen von Joachim Bayer, Petra Flierl und Roland Nicolaus. Kennzeichnend für ihre Bilder ist der lustvolle Umgang mit Farben und Bedeutungsebenen. Hinter einem pastosen Farbauftrag oder einer kräftigen Farbwahl erhält das unmittelbar Dargestellte eine mitunter gegenteilige Bedeutung: Ernstes ist nun ironisch und Gegenständliches wird unfassbar.

Voller geheimnisvoller oder erfindungsreicher Chiffren sind die Bilder von Eeva Hauss, Susanne Hampe, Martin Noll und Joachim Peeck. In ihrer Malerei wird eine reduzierte Formensprache schemenhaft angedeutet. Es sind vor allem die sensibel gesetzten Zeichen, die uns als Betrachter beschäftigen.

In der Ausstellung haben wir Skulpturen, die seit den 90er Jahren nicht mehr zu sehen waren, zusätzlich einen Platz eingeräumt. Neben den leicht instabilen, spannungsvollen Metallgebilden von Henry Stöcker und Fred Seibt sind u.a. drei bekannte Vertreter der figürlichen Bildhauerei zusehen. Knut Seim, der dieses Jahr im Februar den Entwurfswettbewerb für eine Undine-Plastik am Havelufer in Brandenburg gewann, Stefan Kaehne, von dem seit 1988 die vier Gewänderfiguren an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu sehen sind und Rolf Biebl, von dem im öffentlichen Raum von Berlin zehn Skulpturen aufgestellt sind, u.a. seit 1990 die Bronzeskulpturen „Adam“ und „Eva“ vor dem Kesselhaus der Kulturbrauerei und seit 2009 der sogenannte Mauerbrecher am Berliner Spreebogen.

Wenn die Farben die Formen an sich reißen

Die Mehrzahl der Künstler in dieser Ausstellung bewegt sich in Zwischenräumen. Das war typisch für die Junge Malerei der 1990er Jahre. Sie ist abstrakt und doch gegenständlich. Obwohl die freie Linie dominiert, expressive Formen zufällig erscheinen und obwohl viele Werke ganz von der Farbe und dem gestischen Auftrag bestimmt sind, können wir den Gegenstand selten vergessen, als würden die Farben die Formen an sich reißen und Bilder und Zeichen in unserem Gedächtnis abrufen.

Mit der Ausstellung „Herzflattern“ wird ein Querschnitt von der Vielfalt und Eigenständigkeit künstlerischer Handschriften in der Malerei der 1990er Jahre in Berlin veranschaulicht. Entdeckungen sind bei vielen Bildern zu machen: Originalität der Idee bei den einen oder die narrativen und abstrakten Umsetzungen bei den anderen, oder einfach nur das Abenteuer der Erfindungen. Betrachten Sie jedes Kunstwerk der Ausstellung als eine schöpferische Untersuchung seiner eigenen Instrumente. Mit jedem Kunstwerk wird auf die bisherige Wirklichkeit der Kunst angespielt und zwar hinsichtlich ihrer möglichen Überschreitung. In den 1990er Jahren haben sich die zwei unterschiedlichen Kunsttraditionen bewusst oder unbewusst aufeinander bezogen, das hat letztlich auch dazu beigetragen, das eigene Selbstverständnis zu stärken.

Bei den Recherchen zu dieser Ausstellung zeigte sich, dass einige unserer Protagonisten im Kampf ums künstlerische Überleben auch aufgegeben haben. Ihre künstlerischen Biografien brechen irgendwann nach den 90er Jahren ab. Viele der Werke, die Sie heute hier sehen, wären ohne die Soziale Künstlerförderung nie entstanden. Andererseits konnten diese Ankäufe das Fortbestehen der künstlerischen Existenzen auch nicht garantieren. Am Ende geht es allerdings nicht allein um Geld, sondern darum, der Kunst die erforderlichen Freiräume bewusst einzurichten und damit ihr Fortbestehen zu ermöglichen. Wer weiß schon, welche Kunst entstanden wäre, wenn ein Künstler nicht aufgegeben hätte. Was aber nicht existiert, können wir auch nicht denken… Nennen wir es verpasste Möglichkeiten des Denkens.

Eine Ausstellung des Abgeordnetenhauses von Berlin und des Landesamtes für Gesundheit und Soziales – Artothek der Sozialen Künstlerförderung
24.04.2013 bis 31.01.2014

Abgeordnetenhaus von Berlin
www.parlament-berlin.de
Niederkirchnerstraße 5
10117 Berlin
Telefon: 2325 1062

Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 9.00 – 18.00 Uhr

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